Ein Mord am Lietzensee by Hey Richard

Ein Mord am Lietzensee by Hey Richard

Autor:Hey, Richard [Richard, Hey]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: DIE-Reihe 045
Herausgeber: Verlag Das Neue Berlin
veröffentlicht: 1978-01-15T00:00:00+00:00


9

Katharina saß in Roberts Schaukelstuhl und wippte gleichmäßig hin und her. Es war Samstag mittag, nach zwei. Sie sah durch vorhanglose Fenster auf den Turm der Trinitatis-Kirche, hinter dem sich langsam einige groß aufgeworfene, rotgelb beleuchtete Winterwolken bewegten. Unten auf dem Karl-August-Platz wurden die Marktstände abgebaut. In den Straßen kam schon die Dämmerung hoch. Katharina wippte vor sich hin, schaltete kein Licht ein und überdachte die Theorien ihrer Mitarbeiter, die sie gestern abend gehört hatte.

Keiner von ihnen hatte die Richtung angegeben, die ihre Untersuchungen jetzt vernünftigerweise nehmen mußten. Im Gegenteil, sie hatten das Tatwerkzeug nur mit umständlichen Erklärungen oder überhaupt nicht in ihre jeweiligen Theorien einfügen können. Katharina bedachte Tabus und Verhaltensvorstellungen, die es gelegentlich auch Kriminalbeamten erschweren, Folgerungen aus erkennbaren Zusammenhängen zu ziehen. Sie bedachte, daß sie selbst, auch wenn sie bereit war, solche Folgerungen zu ziehen, bis jetzt nicht den geringsten Beweis für ihre Vermutungen hatte. Sie dachte an das Altenheim, an Tante Fenna, und sie überlegte, ob es richtig war, in der Unterredung mit Oberstaatsanwalt Kreppel, Staatsanwalt Lohmann, den Referatsleiter, und Nering, dem Leiter der Presseabteilung, ihre Vermutungen verschwiegen zu haben. Sie kam zu dem Schluß, daß es richtig war. Kreppel, ein sportlicher Endvierziger, im Moment von afrikanischer Sonne gebräunt, und Lohmann, ein schmaler dunkelhaariger Mensch mit ständig energisch zusammengepreßten Lippen, hätten kein Verständnis für vage Andeutungen gehabt. Sie hatten allerdings auch wenig Verständnis für den. aus ihrer Sicht stockenden Verlauf von Katharinas Untersuchungen. Nering war zugetragen worden, daß übers Wochenende in zwei Zeitungen scharfe Angriffe auf die Leitung der Polizei wegen ihrer Haltung in der Rockerfrage erscheinen sollten, Kreppel und Lohmann lag also daran, möglichst bald genügend Material gegen Luzifers Lieblinge zu haben, um losschlagen zu können. Katharina hatte kein Material anzubieten, keinen Beweis, kein begründetes Verdachtsmoment, nichts. Statt dessen warnte sie vor Maßnahmen gegen die Rocker. Die Besprechung war frostig verlaufen. Der Referatsleiter, pfeiferauchend, seinen kahlen Schädel massierend, hatte Katharina verteidigt. Nering, untersetzt, stämmig, mit unentwegt mahlendem, kauendem, schleifendem Gebiß, hatte versprochen, sich „was Realistisches“ einfallen zu lassen. Aber die beiden Staatsanwälte waren verärgert davongegangen, nicht ohne mitzuteilen, wie überflüssig sie Katharinas Besuch in Bad Nauheim fanden.

Katharina wippte vor und zurück, von der Kirchturmuhr schlug es halb. Robert war gestern noch später nach Hause gekommen als sie! Er war bei Evchen gewesen. Evchen, seine Tochter, die als einzige den Unfall vor anderthalb Jahren überlebt hatte, als Roberts Frau und ihre zwei kleinen Jungen an einem Baum der Clay-Allee von den Trümmern ihres Autos zermalmt und zerschnitten worden waren. Nur Evchen, ältestes der Kinder, schien unverletzt. Aber sie lag seitdem bewußtlos im Martin-Luther-Krankenhaus, ein zartes Mädchen von sieben Jahren, das mit blondem Wuschelhaar und rosigen Wangen seit Monaten, sanft atmend, in seinem Bett schlief, dabei immer schöner wurde, auch wuchs, und dessen Gehirnstromkurve so gut wie nichts anzeigte, ein Phänomen. Alle zwei, drei Wochen besichtigten Robert oder Katharina das Phänomen, lasen medizinische Tabellen, hörten Erläuterungen, immer die gleichen, nahmen zur Kenntnis. Was sollten sie sonst tun. Zu Evchen war nichts zu sagen. Der Weltrekord auf diesem Gebiet wurde von einer Amerikanerin gehalten, die seit neun Jahren bewußtlos in Salt Lake City lag.



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